Vertrauen ist gut – Kontrolle war gestern

Let’s talk about trust. Was kann man eigentlich ganz konkret tun?

Unseren letzten Blogartikel haben wir der Frage gewidmet, was Vertrauen bedeutet. Heute setzen wir uns mit drei Vertrauensfallen auseinander, die wir regelmäßig in Unternehmen erleben.

Vertrauensfalle 1: Vertrauen anordnen – durch Unternehmenswerte und -leitbilder

Vertrauen findet sich in vielen Unternehmenswerten und -leitbildern. Vertrauen ist, wie gesagt, immer ein Vorschuss, den ich geben, aber nicht einfordern kann. Ein Risiko. Wenn meine Erfahrungen im Unternehmen nicht hergeben, dass sich dieses Risiko lohnt, ist Vertrauen einfach nur dumm. Oder blind. Auf jeden Fall nicht hilfreich für die Arbeit. Angeordnetes Vertrauen kann Mitarbeitende in die Zwickmühle bringen, Vertrauen vorzuspielen – ein Balanceakt, der Aufmerksamkeit und Ressourcen bindet, die nicht in die wertschöpfende Arbeit fließen.

Oft geht der Vertrauensappell einher mit einem Ruf nach Ehrlichkeit und Authentizität. Denn Vertrauen kann vermeintlich nur entstehen, wenn Menschen geradlinig, konsequent und berechenbar handeln. Das wiederum ist in komplexen Umfeldern oft fehl am Platz – denn hier muss mit stetiger Veränderung und allerlei Widersprüchlichkeiten umgegangen werden. Und beim Wunsch nach Authentizität denken wohl viele an das gedankliche Ideal der super-integeren, sozial verträglichen Mitarbeiterin, die immer die Unternehmensinteressen vorne anstellt. Es mag diese Menschen geben – die können dann auch gerne authentisch sein. Aber alle anderen bitte nicht. Denn ganz authentisch das eigene cholerische Naturell auszuleben, hilft niemandem weiter.

Menschen handeln in aller Regel so, wie es im sozialen System sinnvoll ist. Was dabei zählt, sind Erfahrungen – und nicht das, was auf großformatigen Postern steht.

Deshalb unser Tipp: Schaffe Erfahrungen, in denen sich echtes Vertrauen lohnt. Gib deinen Kollegen – da wo es sinnvoll und ernst gemeint ist – einen Vertrauensvorschuss und gehe bewusst damit um, wenn jemand dir einen Vertrauensvorschuss schenkt. Denn ein ehrlich gemeinter Vertrauensvorschuss kann eine sehr verbindliche Wirkung auf andere haben. Und wenn er doch enttäuscht wird, dann hinterfrage, ob es sich wirklich um einen Vertrauensbruch handelt oder nur die eigenen unausgesprochenen oder unangebrachten Erwartungen enttäuscht wurden.

Vertrauensfalle 2: Systemimmanente Fehler – Rahmenbedingungen und Spielregeln, die Menschen Motive geben, Vertrauen zu enttäuschen

Der vielleicht größte Vertrauens-Hemmschuh ist das Vorhandensein struktureller Rahmenbedingungen, die vertrauensvolles Verhalten sanktionieren. Was hart klingt, ist in vielen Unternehmen völlig normaler Alltag. Leistungsziele, Boni, Karriere- und Gehaltsmodelle geben vielen Mitarbeitenden eine klare persönliche Agenda vor und unterbinden damit die Basis für Vertrauen in der Zusammenarbeit: die Verantwortung für ein gemeinsames Resultat.

Nicht selten finden sich Mitarbeitende in Situationen wieder, in denen das gemeinsame Resultat im Widerspruch zu persönlichen Interessen steht. Warum sollte ich meiner Vertriebskollegin vertrauen, im besten Interesse unserer Bestandskunden zu handeln, wenn ich weiß, dass ihr noch fünf Neukunden fehlen, um ihren Quartalsbonus einzustreichen? Warum sollte mein Kollege mir vertrauen, mich voll für das Team einzusetzen, wenn ich mich für die begehrte, freiwerdende Teamleiter-Position profiliere? Warum sollte ich Vertrauen in meine Mitarbeitenden haben, dass sie eigeninitiativ und innovativ handeln, wenn ich gleichzeitig täglich nach den aktuellen Projektständen und KPI’s frage?

Unser Tipp: Sucht nach systemimmanenten Fehlern, die Mitarbeitenden einen Grund geben, keinen Vertrauensvorschuss zu leisten oder diese zu enttäuschen. Je abhängiger die Mitarbeitenden voneinander sind, desto wichtiger ist, dass sich Strukturen auf das gemeinsame Resultat und nicht auf persönliche Leistung ausgerichtet sind.

„Menschen handeln in aller Regel so, wie es im sozialen System sinnvoll ist. Was dabei zählt, sind Erfahrungen – und nicht das, was auf großformatigen Postern steht.“

Vertrauensfalle 3: Kleine Lügen – große Wirkung

Eine – unserer Meinung nach treffende – Definition von Kultur besteht in der Summe der vorhandenen Kommunikationsmuster. Oder klarer gesagt: Das, was man sich in der Organisation standardmäßig gegenseitig sagt und antwortet. Solche Kommunikationsmuster laufen in der Regel wenig bewusst ab und fühlen sich ganz normal an. Und trotzdem haben Menschen einen sehr feinen Riecher dafür, was sie bedeuten und was dahintersteckt. Sätze wie „Der XY-Leiter ist gerade in einer Besprechung. Er meldet sich zurück.“ oder „Das gehen wir auf jeden Fall im nächsten Quartal an.“ wissen Organisationsmitglieder sehr genau einzuordnen.

Kleine, zweckdienliche, tröstende Lügen haben eine große Wirkung. Denn sie sorgen für permanente, allgemein akzeptierte Vertrauensbrüche. Weil sie Teil der Kultur – und damit „normal“ sind – werden sie höchst selten thematisiert und kulturell verarbeitet. Große Vertrauensbrüche – z. B. wenn ein Buchhalter Dein und Mein verwechselt – haben Konsequenzen. Alle sprechen darüber. Und das Darüber-Sprechen erhält und formt soziale Normen und kulturelle Muster. Kleine Vertrauensbrüche hingegen laufen einfach so mit und nähren eine Grundskepsis im Unternehmen.

Unser Tipp: Nimm kleine Lügen nicht hin. Und verbreite sie nicht. Gehe bewusst damit um, wenn in deinem Umfeld regelmäßig Aussagen getätigt werden, deren Wahrheitsgehalt bekanntermaßen hinterfragenswert ist. Denn es sind die kleinen Vertrauensbrüche, die eine Kultur des Misstrauens formen.

Eine Geschichte zum Schluss

Natürlich kann nicht nur Skepsis, sondern auch Vertrauen kulturell stark verankert sein. Ein spannendes Beispiel dafür ist die jahrhundertealte, im arabischen Raum verbreitete Kredit-Form Hawala. Damit kann sich Person A bei Person B Geld leihen, ohne im direkten Kontakt zu stehen. Person A erhält Geld von ihrem Hawala-Händler, der stimmt sich mit einem weiteren Hawala-Händler ab, der das Geld von Person B erhält. Dieses Prinzip wird heute auch von Finanz-Diensten wie z. B. Western Union betreiben. Und bei aller Kritik, die an diesem System (zurecht) geübt wird, ist es doch ein schönes Beispiel dafür, wie Vertrauen in einem weit verzweigten sozialen System wirken und bestehen kann – selbst bei einem hochgradig sensiblen Thema wie Bargeld.

2019-07-18T10:14:48+00:00